Die voranschreitende Digitalisierung und Technisierung der Welt hat bei nicht wenigen Kunstschaffenden des 21. Jahrhunderts eine umso stärkere Hinwendung zu analogen, mechanischen und handwerklichen Verfahren zur Folge. So erlebte in den letzten Jahren nicht nur die Collage eine veritable Renaissance, auch analoge fotografische Verfahren spielen in der zeitgenössischen Kunstpraxis (immer noch) eine äusserst wichtige Rolle. Ein Hauptgrund für diese ungebrochene Faszination für scheinbar überkommene Techniken ist, dass man die Spur, die jedes dieser Verfahren hinterlässt, als Teil des Kunstwerks nicht nur akzeptiert, sondern darin elementare Komponenten bildgeberischer Verfahren erkannt hat.
Auch Ronaldo Grossman arbeitet scheinbar gegen den Strom der Zeit, indem er seit 2005 bemalte Holzstücke zu abstrakten Bildern zusammensetzt. Grossman bedient sich mit der Intarsienkunst einer Technik, deren Wurzeln weit zurück in die Geschichte der Kunst und des Kunsthandwerks reichen. Indem Hölzer in- oder aneinandergelegt werden, entsteht auf einer planen Oberfläche ein Muster, ein Bild. Durch das Bemalen der MDF-Holzstücke zu einzelnen Farbfeldern und das Zusammensetzen zu abstrakten Kompositionen gelingt Grossman mit einfachsten Mitteln eine Aktualisierung dieser Technik. Gleichzeitig setzt er sich damit auch von historischen Strömungen wie der Konkreten Kunst ab, der seine Bilder nur ansatzweise, im wörtlichen Sinn: oberflächlich verpflichtet sind. Referierte die Konkrete Kunst konzeptuell auf mathematisch-geometrische Konzepte, so ist Grossman weitaus stärker an einer subjektiven, gerade nicht mathematischen sondern vielmehr phänomenologischen, durchaus mystischen Intentionalität des Bildes interessiert. (Auch die Technik des Intarsierens – Italienisch intarsiare = einlegen – bedeutet eine eigentliche Entschleunigung des bildnerischen Prozesses und steht damit in gewissem Sinn dem technischen, aber auch geistigen Fortschrittglauben skeptisch gegnüber).
Die Abstufungen und das Zusammensetzen der Schwarz-, Grau- und Weisstöne in Ronaldo Grossmans Gemälden verweisen sowohl auf die unendlichen Variationsmöglichkeiten der einzelnen Teile zu einem Ganzen als auch auf die unbeschränkte Zahl der möglichen Farbabstufungen selbst. Innerhalb eines begrenzten, bipolaren Systems, das auf einfachsten Grundlagen fusst, eröffnet sich ein unabschliessbarer Raum von Möglichkeiten. Wenn Ronaldo Grossman in seinen Werken zudem auf alte Bildformen anspielt – etwa das Bodenmosaik auf dem zentralen Platz in Manaus, oder ornamentale Mosaikarbeiten aus römischer Zeit – und dies in einer Technik, die selbst zu den ältesten bekannten Bildverfahren zählt, so leitet sich daraus auf einer zweiten Ebene eine ebenso unabschliessbare kulturhistorische Dimension ab. In diesem Sinne wird das Kunstwerk selbst zur Metapher für die Unabgeschlossenheit; von Formen und Bildern ebenso wie von Ideen und Konzepten.
Reto Thüring